Nachdem meine Freundin (nennen wir sie Miriam) und ich schon im Nordosten der Türkei waren, dachten wir uns ein kleiner Trip nach Georgien könne nicht schaden. Bei einem Busunternehmen erkundigten wir uns wie lange so eine Fahrt dauern würde, ca. 7 Std. war die Antwort. Voller Vorfreude stiegen wir also in den Bus, der uns nach Tiflis fuhr. Noch ahnten wir nicht, dass aus den 7 Std. 13 werden würden.
Wir waren nicht viele Reisende, nur ein paar wenige Menschen. Bevor wir die Grenze Georgiens erreichten, hielten wir an einem abgelegenen Haus, weit und breit gab es keine Menschenseele. Die Busfahrer und –begleiter räumten alles (mit Ausnahme der Passagierkoffer) aus dem Bus, selbst Essen, nicht einmal Wasser ließen sie übrig. Als der Bus ausgeräumt war fuhren wir weiter. An der Grenze wurde der Bus komplett durchsucht, selbst die kleinste Tasche musste raus. Erst nachdem unsere Rucksäcke zwei Scanner durchlaufen hatten, konnten wir sie wieder in den Bus packen.
Die Zeit verstrich und wir merkten, dass wir so schnell nicht in Tiflis ankommen würden. Miriam setzte sich auf den Zweiersitz vor mir und wir wollten beide ein bisschen entspannen und eventuell schlafen, da es mittlerweile Nacht geworden war. Ein paar Reihen hinter mir saßen drei Frauen mit ihren Kindern und ein junger Mann, sie waren alle gemeinsam in den Bus gestiegen, ich nehme an sie waren eine Familie. Der Bus war kaum gefüllt und so konnten diese sich auch über mehrere Sitze verteilen.
Irgendwann kam der Busbegleiter und setzte sich einfach neben mich (leider hatte ich nicht beide Sitze eingenommen). Erstaunt sah ich ihn an. Was wollte dieser Mann von mir? Er hatte uns vorher schon ausgefragt woher wir kamen und was wir in Tiflis wollten, aber das war mittlerweile nichts Neues für uns, da uns solche Fragen tagtäglich begegneten.
Kaum saß er, lehnte er sich gemütlich zurück und machte die Augen zu. Ich fiel aus allen Wolken. Kerzengerade richtete ich mich auf und sah verzweifelt nach hinten. Ich schämte mich dafür, dass dieser Mann sich einfach zu mir gesetzt hatte. Wer gab ihm das Recht dazu? Die Frauen sahen mich ohne Ausdruck im Gesicht an und drehten sich weg. Ich war enttäuscht, warum sagten diese Frauen nichts? Warum wies keiner diesen Mann, der mein Vater hätte sein können, darauf hin, dass sich so ein Verhalten nicht gehört, dass er aufstehen und sich wo anders hinsetzen soll?! Als ich zu ihm sah tat dieser so, als schliefe er. Der Arm, welchen er über meinen Sitz gelegt hatte, rutschte immer weiter nach unten. Irgendwann merkte er, dass da ja niemand mehr saß und sich seine Sitznachbarin schon auf den Beinen hielt, den Vordersitz umklammert. Immer noch verwirrt sah ich ihn an und hoffte, dass er jetzt endlich verschwinden würde, aber da hatte ich falsch gedacht. Dieser Mann tat so, als wäre er durch das Abrutschen seines Armes aufgewacht, sah mich an, wies mit der flachen Hand auf meinen Sitz und sagte auf Türkisch „komm“ zu mir. Ich brachte ein „nein“ heraus und schüttelte den Kopf. Die Antwort darauf war ein Achselzucken und schon waren die Augen wieder geschlossen. Nun war ich mit meiner Geduld wirklich am Ende. Ich sah noch einmal zu den Frauen, die sich weggedreht hatten, aber sie machten nach wie vor nichts, es gab keine Reaktion ihrerseits, es interessierte sie nicht was da vor ihren Augen vor sich ging. Schließlich lehnte ich mich nach vorne zu Miriam, die felsenfest schlief. Ich wollte sie in diesem Augenblick wachrütteln und schreien „Sieh dir diese Unverschämtheit an!“, doch stattdessen rief ich in normaler Lautstärke ihren Namen. Natürlich reagierte sie nicht, was hatte ich erwartet. Wütend drehte ich mich dem Man zu, stieß ihn mit meinem Zeigefinger an der Oberschulter und sagte in meinem damals gebrochenen Türkisch „Sie! Gehen! Da hin!!!“ und wies auf einen Platz zwei Reihen vor mir. Als er jedoch wieder müde tat, die Augen schloss musste ich es noch einmal versuchen. Wiederholt sagte ich “DA HIN!!! Sie! Setzen!!!“. Endlich stand er auf und ging. Ich konnte meine Erleichterung nicht verbergen. Wie unverschämt musste ein Mann in seinem Alter sein, um so etwas zu machen? Was hielten diese Menschen wohl von Europäerinnen, wenn sie ihnen gegenüber so ein Verhalten an den Tag legten?
Nachdenklich lehnte ich mich zurück und versuchte zu verstehen warum man sich mir gegenüber so benahm.
Nachdem Miriam wach geworden war erzählte ich ihr alles, sie ließ ihrem Ärger lauf, aber ändern konnten wir beide nichts mehr. Wenn jemand unverschämt sein wollte, dann war er es auch, vor allem im Osten der Türkei. Hier wurde Europäerinnen, die auch noch alleine reisten, nicht besonders viel Respekt entgegen gebracht.
Am Morgen konnte ich die Frauen hinter mir nicht anschauen, zum einen schämte ich mich, da dieser Widerling sich einfach so zu mir gesetzt hatte. Was haben diese Frauen wohl über mich gedacht? Zum anderen empfand ich Abneigung ihnen gegenüber. Warum halfen sie einem jungen Mädchen nicht, wenn sie sahen, dass diese sie hilfesuchend ansah?
Damals war ich noch zu naiv, um zu verstehen …